Indie Games entwickeln – Interview mit dem Programmierer Joachim Mertens
Moderne Computerspiele wie die Fallout- oder Gears of War-Reihe kosten in der Entwicklung viele Millionen US-Dollar. Hunderte von Künstlern, Programmierern arbeiten jahrelang an diese Tripe-A-Titeln.
Die Indie-Revolution hat nicht nur ein neues Genre erschaffen, sie hat auch dem Publikum die Werkzeuge zurückgegeben: Man muss nicht Millionen Euro investieren, eine Riesenfirma und Dutzende Mitarbeiter haben, um ein Videospiel zu veröffentlichen. In der Indie Games-Szene gibt es viele Begeisterte, die mit Low-Budget- oder gar No-Budget-Produktionen erfolgreich werden – Minecraft, World of Goo und This War of Mine beispielsweise haben als Indie Games-Titel angefangen.
Die Freiheit der Indie-Games-Entwickler
Indie-Games-Entwickler haben zwar nicht die Möglichkeiten der großen Studios, etwa Millionen für Grafiker oder Musiker auszugeben. Aber sie haben etwas, was die Großen nicht haben: Freiheit. Sie müssen nicht zwingend die Entwicklungskosten wieder reinholen. Sie haben kein Management und auch keine PR-Abteilung im Rücken, die sich in die Story oder die Spielmechanik einmischen.
Joachim Mertens und Andreas Meier gehören mit ihrem Studio Tiny Tap Gems dazu. Beide sind seit den Tagen des Commodore 64 dabei – also seit der Steinzeit der Computerspiele. Im Interview verraten sie, was sich seit den Anfängen wie verändert hat, warum es ihnen so viel Freude bereitet, nach Feierabend einfach weiter zu programmieren und warum sie auch heute lieber ohne Publisher auskommen.
Cold Crash – das Neueste Game von Tiny Tap Gems im App-Store
Joachim, Andreas – jetzt mal im Ernst. Ihr arbeitet beide als Programmierer in der Industrie. Welcher Teufel reitet Euch, nach Feierabend weiterzuprogrammieren?
Andreas: Jedenfalls nicht das Geld (lacht).
Joachim: Nein, das auf keinen Fall. Also, mich reizt es, etwas Neues zu erschaffen. Nach Feierabend, klar, da kann man sich in die Altstadt setzen und mit Kollegen ein Bier trinken. Aber das ist nicht das, was mir Spaß macht.
Andreas: Och…
Joachim: Ja, naja, jedenfalls nicht jeden Tag. Oder auch nur jede Woche. Das kann man mal machen, aber das ist nicht lebenserfüllend. Für mich. Ich will was erreichen, ich will etwas Neues schaffen, und wenn ich nur jede Serie gucke, die im Fernsehen läuft, dann bringt mir das auch nicht richtig was.
Andreas: Da fällt mir ein, hast Du Stranger Things schon gesehen?
Joachim: Jetzt lenk‘ nicht ab. Ich finde Erfolg interessanter als Fernsehen. Zeitvertreib, das ist doch schon ein komischer Begriff an sich! Weil – was heißt das denn? Ich mache irgendwas sinnloses mit meiner Lebenszeit, als wüsste ich nicht, mit mir was anzufangen?
Joachim Mertens
Wie viel Zeit steckt Ihr in die Entwicklung Eurer Computerspiele, Eurer Indie Games?
Andreas: Bestimmt zehn Stunden pro Woche, je nachdem, was ich am Wochenende schaffen kann. Vielleicht sogar 20 Stunden. Nach Feierabend kommen schon mal vier Stunden Extra-Programmierarbeit dazu.
Joachim: Wow, doch so viel? Das könnte ich mir bei meinem Job nicht erlauben. Deshalb mache ich meistens nur am Wochenende etwas.
Seit wann programmiert Ihr Indie Spiele?
Joachim: Das hat bei mir 1988 angefangen – da war ich ungefähr zehn Jahre alt – mit einem Jump-and-Run für den C64. Der Commodore 64 war toll, aber schnell überholt, als der Amiga auf den Markt kam.
Andreas: Joachim und ich kannten uns von der Schule her. Wir haben uns mit noch ein paar Freunden zusammengetan, die auch alle programmiert und gezockt haben. Wir haben uns Spieleideen ausgedacht, und ganz ehrlich, mit 19 und 20, da hatten wir alle die fixe Idee, dass wir unser Hobby zum Beruf machen. Nichts richtiges lernen, nix studieren, einfach sofort in den Beruf einsteigen.
Joachim: Unsere Eltern fanden das natürlich gar nicht cool.
Andreas: Mein Vater hätte mich, glaube ich, vor die Tür gesetzt, wenn ich das wirklich versucht hätte.
Joachim: Deshalb habe ich auch was Richtiges gelernt! Kommunikationselektroniker bei Siemens. Damals hieß es: Da hast Du was fürs Leben. Pustekuchen, 1999 hat Siemens 40 Prozent des Werkes an die Vogt AG verkauft, durch mehrere Restrukturierungen wurde etwa die Hälfte des Personals abgebaut.
Andreas: Man kann sich bei der Berufswahl auch nicht unbedingt auf die eigenen Eltern verlassen.
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Habt Ihr in Eurer Ausbildung etwas gelernt, was Euch heute beim Programmieren hilft?
Joachim: Ja, schon – ich bin ja Kommunikationselektroniker, da haben wir schon Programmieren durchgenommen, aber für mich war das damals schon alles Pillepalle.
Andreas: Es war auch nicht das, was man für die Spieleprogrammierung braucht.
Was war Euer erster Erfolg?
Joachim: Slidercrash auf dem Amiga. Ein Puzzelspiel, das wir heute auch für iOS neu auflegen. Damals hatten wir sogar einen Publisher. Ist das dann überhaupt noch Indie oder ein normales PC Game?
Andreas: Ja klar, wir hatten ja kein Budget und haben völlig ohne Publisher angefangen, also ja. Damals gab es für Slidercrash 2000 Deutsche Mark auf die Hand, damals ein Wahnsinnsbetrag!
Klingt nach viel Geld, aber habt Ihr Euch mal Euren Stundenlohn ausgerechnet?
Andreas: Lieber nicht…
Joachim: Wenn wir das machen würden, müssten wir sofort aufhören. Aber man fragt ja einen Modellbauer oder eine Crossfitterin auch nicht, was sie mit ihrem Hobby verdient…
Andreas: Bei unserem Game Wheels On Fire, das war unser drittes Spiel für den Amiga, haben wir neben der Schule und neben der Ausbildung her programmiert.
Joachim: Stimmt, das haben wir sogar selbst verschickt – komplett mit Eintüten und Frankieren und so! Ich erinnere mich noch, dass das allererste Exemplar, das wir verschickt haben, an einen Raubkopierer ging. Denn ein paar Tage später war die Raubkopie auf dem Markt.
Auf YouTube heißt es in der Beschreibung zu dem Wheels-On-Fire-Video: „A boring vid for a boring game.“ Was sagt Ihr dazu?
Joachim: Naja, wir standen halt noch ganz am Anfang. Das Video, das Du meinst, hat jemand im Jahr 2009 hochgeladen, da war Wheels On Fire schon zwölf Jahre alt. Die Maßstäbe kann man da nicht mehr wirklich anlegen. Aber ja, na klar, wir haben schon dazu gelernt.
Wollt Ihr denn heute einen Publisher haben – oder macht Ihr lieber alles selbst? So ein Publisher kann ja beim Vertrieb und beim Marketing helfen.
Joachim: Ich glaube nicht, dass es so schwer ist, an einen Publisher heranzukommen. Es gibt ja sogar deutsche Publisher. Aber das kann man sich nicht erlauben, wenn man das nebenbei als Hobby macht.
Andreas: Wenn man dabei Pech hat, wird es schwierig, Verträge zu erfüllen – neben dem ganz normalen Job. Mit Publisher ist das Ganze etwas ernster, und wir wollen hauptsächlich Spaß an der Sache haben.
Joachim: Wenn man alles selber macht, ist es mehr Fun. Da ich aktuell nicht davon leben muss, kann ich mir das erlauben.
Wie hat Euer erstes iOS-Game eingeschlagen?
Joachim: Das war Germy World.
Andreas: Ich erinnere mich. Damals hatte ich schon die Kündigung an meinen damaligen Arbeitgeber in der Schublade.
Joachim: Was, echt?
Andreas: Im Ernst, kann ich Dir zeigen. Liegt da immer noch. (lacht)
Joachim: Zwei Wochen nach dem Release hatten wir jedenfalls genau 80 Euro gemacht.
Andreas: Und eine Maximalfrustration.
Joachim: Ja, aber um ehrlich zu sein, das mit dem Geld war sekundär. Und: Prinzip Hoffnung!
Was hat sich nach Germy World für Euch verändert?
Joachim: Nicht viel, es gab ja keinen finanziellen Erfolg. Aber es gab viele positive Ratings. Das hat mich schon motiviert, weiterzumachen, denn ich war ja jetzt offensichtlich talentiert genug, etwas zu machen, was den Leuten gefällt! Es war hat alles nur nicht so einfach, wie ich gedacht hatte.
Was würdet Ihr jemandem raten, der auch Games entwickeln will? Der lernen will, wie es ist, Indie Games oder PC Games zu programmieren?
Joachim: Wer auch immer das vorhat, muss sich heutzutage vor allem eine Frage stellen: Will ich nur Games machen? Oder will ich Programmieren lernen und dann Games machen?
Heißt das, man muss nicht mehr unbedingt Programmieren können, um Spiele zu entwickeln?
Joachim: So lala. Heutzutage gibt es so viele Oberflächen, mit denen man Games machen kann, ohne Programmieren zu können. Mit Unity geht das zum Beispiel, oder mit Gamemaker Studios, oder mit den Geschichten, die im Webbrowser laufen – mit Construct 3 etwa. Da kann man sich schon viel zusammenklicken.
Andreas: Ja, aber man ist nicht so flexibel. Wenn man zusätzlich Programmieren lernt, hat man mehr Freiheiten. Ich würde immer zu Unity oder Gamemaker raten, weil man damit ein Tool an die Hand bekommt, das einem viel abnimmt.
Joachim: Gamedesign kommt ja auch vor dem Programmieren. Man muss halt wissen, was man machen will. Bei Monkey Island stehen die Grafik und die Story im Vordergrund, das hat sogar Gronkh gespielt, dabei ist der erste Teil von 1990. Spiele wie Xenon 2 dagegen sind technisch so brillant, dass die Story da keine Rolle spielt, sondern nur die Leistung des Programmierers.
Andreas: Bestenfalls weiß man schon, was man für ein Spiel machen will, bevor man die erste Taste zum Programmieren drückt.
Klingt, als sein das alles schrecklich viel Arbeit.
Joachim: Entspannung ist es nicht. Arbeit ist es in dem Sinne schon, weil es natürlich auch Dinge gibt, die nerven und die anstrengend sind, die nicht funktionieren. Aber was man dann auf dem Bildschirm sieht – das eigene Spiel, die guten Reviews im App Store – Freunde, die einen loben, Leute, die sich extra ein iPad für das Spiel kaufen, ist wirklich passiert! Solche Erfolgserlebnisse gibt es nicht, wenn man nur TV guckt. Deshalb bleibe ich dran, auch, wenn es gerade mal schwierig ist.
Cold Crash – das Neueste Game von Tiny Tap Gems im App-Store